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Teil I Theoretischer Hintergrund und Stand der Forschung

2.4 Grundlagen für die eigene Didaktisierung

2.4.1 Kontrastiver Fremdsprachenunterricht und Sprachbewusstheit

2.5 Zusammenfassung

2.1 Einleitung

Die Frage, wie Sprache gelernt, verarbeitet und gespeichert wird, hat die linguistische Forschung seit jeher beschäftigt. Bis heute wurde hierfür jedoch noch keine hinreichende Erklärung gefunden, auch wenn die moderne Technik inzwischen Erstaunliches ermöglicht. So konnte beispielsweise gezeigt werden, dass verschiedene Regionen im Gehirn und diese wiederum unterschiedlich stark aktiviert sind, wenn Lerner ihre L1 oder eine L2 verarbeiten (vgl. Clahsen & Felser 2006).6 Dennoch bleiben nach vielen Jahren Forschung die wesentlichen Fragen noch offen. Dies zeigt sich auch, wenn in Betracht gezogen wird, wie sich das Verständnis des Spracherwerbs7 über die Jahre stark verändert hat. Beginnend beim klassischen Behaviorismus, über Chomskys Generative Grammatik bis hin zum Verständnis der kognitiv-funktionalen Linguisten und eines konstruktivistischen Ansatzes soll hier zunächst ein Überblick über verschiedene Vorstellungen des Spracherwerbs geschaffen werden.8 Hierbei wird sich

6 Clahsen und Felser (2006) zeigen auch, dass bei der Verarbeitung bestimmter linguistischer Domänen (z. B. Syntax, Semantik) ein Unterschied in der Aktivität verschiedener Gehirnregionen bei der L1- und L2-Verarbeitung zu beobachten ist. In bestimmten Subdomänen, wie gewissen Aspekten der Syntax, kann ein L2-Lerner infolge der Gehirnaktivität eine muttersprachliche Kompetenz aufweisen, während das bei komplexen syntaktischen Aspekten nicht mehr der Fall ist.

7 Es wird in der Fachliteratur häufig ein Unterschied zwischen Lernen und Erwerben gemacht (learnings vs. acquisition). Siehe beispielsweise Krashen (1982: 10 f.). Innerhalb des kognitiv-funktionalen Ansatzes wird diese Unterscheidung jedoch in der Regel nicht vorgenommen. Dies liegt daran, dass die funktionalen Linguisten keinen grundsätzlichen Unterschied in den zugrunde liegenden Lernprozessen beim Erst- und Fremdsprachenerwerb bzw. dem Lernen allgemein sehen. Basierend auf dieser Vorstellung werden die Begriffe des Lernens und Erwerbens auch hier synonym verwendet.

8 Nur um das Verständnis zu erleichtern, werden die Standpunkte des Behaviorismus, des Nativismus und einer kognitiv-funktionalen Auffassung als relativ feste Bezugspunkte auf einer Skala betrachtet.

zunächst auf den Erstspracherwerb konzentriert, da zu überlegen ist, inwiefern ein Verständnis dieses Prozesses mit dem des Fremdsprachenerwerbs vergleichbar ist und somit wesentliche Aufschlüsse für das Lernen einer L2 bieten kann. Eine weitere Überlegung betrifft dann die Frage, welchen möglichen Einfluss die L1 auf die L2 haben könnte, was wiederum für die sprachenvergleichende Lehrmethode (vgl. 6.3) von größter Relevanz ist.

Aus den verschiedenen Vorstellungen über den Erstspracherwerb sind Hypothesen erwachsen, die versuchen, auch den Fremdsprachenerwerb zu erklären. Die Fülle an Hypothesen in ihrer Ganzheit zu erfassen, wäre ein sehr zeitaufwendiges und an dieser Stelle auch nicht notwendiges Unterfangen. Vielmehr soll sich auf einige der bekanntesten Annahmen beschränkt werden, weil diese den Einfluss der L1 auf die L2 und ihre Kontraste aus erwerbstheoretischer Perspektive betrachten, woraus wiederum verschiedene didaktische Praktiken entstanden sind. Hierfür wird zunächst die Kontrastivhypothese betrachtet, die insofern Aufschlüsse für die Studie bietet, weil sie dem Einfluss der L1 einen besonders zentralen Platz beim Fremdsprachenerwerb einräumt. Weiter wird die Identitätshypothese dargestellt, da sie in einem deutlichen Gegensatz zu erstgenannter Hypothese steht. Darauffolgend die Interlanguage-hypothese zu beleuchten, ist der nächste logische Schritt, denn diese ist aus den Grundzügen der zuvor genannten entstanden. Zuletzt wird der Spracherwerb aus Sicht von konstruktivistischen Ansätzen begutachtet, weil diese das klassische Lehrerbild in dem Sinne in Frage stellen, dass sie vor allem den Lerner in die Eigenverantwortung seines Lernprozesses stellen.

Da für die sprachvergleichende Lehrmethode, die für die Didaktisierung der Studie gewählt wurde, die L1 der Teilnehmer in den Unterricht eingebunden wurde, fokussiert die Darstellung der Fremdsprachenerwerbshypothesen in erster Linie auf das Verhältnis von L1 und L2. Da diesem Verhältnis eine so große Relevanz zuteilwurde, wird im Folgenden die Begrifflichkeit der Kontrastivität diskutiert werden müssen ebenso wie die Frage, wie sich die Auffassung einer kontrastiven Methode über die Jahre verändert und entwickelt hat. Nachdem die Meinung, es müsse sich im Sprachunterricht ausschließlich auf die Zielsprache konzentriert werden, viele Verfechter und sicher ebenfalls gute Argumente aufzuweisen hat, kann unter dem Begriff der Language Awareness in den letzten Jahren auch ein Aufschwung für einen Sprachenvergleich verzeichnet werden. Warum hier jedoch dem Begriff der Sprachbewusstheit der Vorzug gegeben wird, was darunter zu verstehen ist und wie dieser kognitive Vorgang besonders in Bezug auf die Satzstellung positiv genutzt werden kann, soll genauer

Es soll dabei weder der Eindruck entstehen, dass sich diese Haltungen immer als komplett konträr betrachten lassen, noch dass es zwischen diesen Punkten keine Bewegungen oder moderate Auffas-sungen gebe.

diskutiert werden, um letztendlich zu erklären, aus welcher Überzeugung die sprach-vergleichende Lehrmethode der Studie entstanden ist.

Neben der Kontrastivität ist ein weiterer zentraler Aspekt der Didaktisierung, welchem in diesem Kapitel eine theoretische Grundlage geschaffen wird, die Bewusstmachung durch Visualisierung. Schon in der antiken Rhetorikschule waren Visualisierungs-techniken zur Gedächtnisförderung (Mnemotechnik) bekannte Hilfsmittel, um etwa lange Vorträge zu memorieren. Viele Techniken wie die mentale Wanderung durch eine bekannte Örtlichkeit, bei der konkrete Gegenstände in verschiedenen Räumen ablegt wurden, sind auch heute noch beliebt, sodass es erstaunt, dass solche Hilfestellungen nur selten im Unterricht Verwendung finden (vgl. Schiffler 2012: 77). Außerdem scheint es ebenso seit Langem eine bekannte Tatsache zu sein, dass „eine begrifflich vermittelte Einsicht sich dem Gedächtnis leichter und dauerhaft einzuprägen vermag, wenn sie zugleich mit dem Auge erfaßt werden kann“ (Wernicke 1988: 33). Die Stärke einer visuellen Bewusstmachung kann mithilfe des Feldermodells auf die strukturelle Satzebene übertragen werden. Es werden daher abschließend in diesem Kapitel die Lern- und Verarbeitungsprozesse betrachtet, die einer visuellen Didaktik zugrunde liegen. Hierbei werden zwei Hypothesen bzw. Auffassungen zu Lern- und Lehr-prozessen beleuchtet, die in der Fremdsprachenerwerbsforschung als prominent gelten:

die Noticing Hypothesis (Aufmerksamkeits-Hypothese) (Schmidt 1990, 2010) und das Input Enhancement (Sharwood Smith 1991; Sharwood Smith & Truscott 2014).

2.2 Annäherungen an den Spracherwerb – ein historischer Überblick

Im Zeitalter des Strukturalismus in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war auch die Linguistik von dem Konzept des Behaviorismus stark beeinflusst. Bedeutsam war vor allem die Arbeit von Bloomfield (1933), die sprachliche Kommunikation als ein Reiz-Reaktions-Schema klassifizierte, demzufolge das Kind die sprachlichen Reize der Mutter nachahmte, welche sich dann letztendlich in sprachliche Gewohnheiten entwickeln würden. Sprache wurde als etwas betrachtet, was von außerhalb des menschlichen Verstandes komme, etwas, das durch wissenschaftliche Untersuchung zu ergründen sei.

Diese Auffassung wurde jedoch stark angefochten, als Chomsky (1959) mit seinem prominenten Argument des Poverty of Stimulus eine ganz andere Annahme verbreitete.

Chomsky argumentierte gegen den Standpunkt der Behavioristen, weil es nicht durch den Einfluss äußerer Reize allein zu erklären sei, dass ein Kind ein so komplexes System wie die menschliche Sprache erwerben könne. Ein Reiz-Reaktions-Schema könne nicht erklären, wie ein Kind in der Lage sei, dieses System in so einem rasanten Tempo zu erlernen und Sätze zu äußern, die es in dieser Form zuvor noch nicht gehört

hatte. Dies sei nur dadurch zu begründen, dass Sprache von innerhalb des menschlichen Verstandes kommen müsse und dass die Menschen mit einer besonderen Sprach-fähigkeit ausgestattet seien, um diese außerordentliche kognitive Leistung realisieren zu können. Die Entwicklung dieser Sprachfähigkeit muss hierbei als eine natürliche Notwendigkeit verstanden werden.

Das Konzept hinter dieser Auffassung ist unter dem Begriff der Universalgrammatik (Universal Grammar (UG)) bekannt und ausführlich in Chomsky (1981) erläutert.

Sogenannte Prinzipien und Parameter seien beim Spracherwerb involviert, wobei die Prinzipien als universell für alle natürlichen Sprachen gelten und die Parameter syntaktische Variablen darstellen, die von Sprache zu Sprache unterschiedlich seien.

Die Parameter würden dann, bestimmt durch die jeweilige Sprache, den Input, beim Kind gesetzt. Dies könne weiter erklären, warum beispielsweise ein chinesisches Kind, welches in einem anderen Kulturkreis aufwachse, die dortige Sprache problemlos erlerne, da ja die Prinzipien der UG bei allen Menschen gleich sein müssten. Diese Auffassung einer angeborenen UG wird daher als Nativismus bezeichnet.

Das Verständnis des Spracherwerbs infolge der kognitiv-funktionalen Linguisten ist ein gänzlich anderes. Das Erlernen einer Sprache basiere auf kognitiven Lernmechanismen, die sich von keinen anderen Lernprozessen unterscheiden. Dasselbe kognitive System werde beim Sprachenlernen sowie beim Erlernen des Fahrradfahrens oder des Spielens einer Geige herangezogen (vgl. Ellis 1994: 295). Dabei interagierten die verschiedenen kognitiven Bereiche des menschlichen Verstandes miteinander, ohne dass dies eine sprachspezifische, genetisch prädesponierte Sprachfähigkeit im Sinne der UG erfordere bzw. dass diese überhaupt existiere. Der Fokus auf die innerpsychischen Vorgänge sucht nach einem Blick in die Blackbox des Behaviorismus und geht auf die Über-legungen Piagets (1953) zurück.

Sowohl in der generativ-nativistischen wie auch der kognitiv-funktionalen Annäherung wird der Spracherwerb als ein kognitiver Prozess verstanden. Der Unterschied liegt jedoch im Ursprung des linguistischen Wissens und in der Annahme bzw. dem Verneinen einer mentalen Grammatik als autonomes formales System. Daher kann es mitunter etwas schwierig erscheinen, die verschiedenen Annäherungen auseinander-zuhalten, weil auch Chomskys wegweisende Arbeit zum Kognitivismus gezählt wird, und es kann und wird allem voran Chomsky mit der sogenannten kognitiven Wende in Verbindung gebracht. Entscheidender ist in dieser Hinsicht daher der Unterschied zwischen einer nativistischen und einer nicht nativistischen Position.

Zuletzt muss auch der Konstruktivismus als eine Weiterführung und eine Form des Kognitivismus verstanden werden. Ebenso dieser Richtung zufolge basiert der

Sprach-erwerb auf einem kognitiven Prozess. Allerdings ist es weiter eine Kernthese des Konstruktivismus, dass jegliche Form des Lernens auf dem Konstruieren einer individuellen Wirklichkeit erfolge (vgl. Wolff 2002: 21). In seiner interaktionistisch ausgerichteten Form versteht der Konstruktivismus den Spracherwerb als einen kognitiven Prozess bedingt durch den Austausch zwischen dem Kind/Lerner und der Umwelt, wobei die Leistung grundsätzlich vom Kind/Lerner ausgehe (vgl. Wolff 2002:

2).

Tomasello (2003) argumentiert, dass das Erlernen einer Sprache auch das Verständnis der Intention einer anderen Person und die darauffolgende Reaktion durch Sprache einschließe. Dies sei, im Gegensatz zur Meinung der Behavioristen, nicht durch eine simple Induktion möglich, sondern erfordere weitaus komplexere Lernmechanismen.

Auch das Konzept einer UG sei nicht repräsentativ für natürliche Sprachen, da eine Grammatik kein formales, bereits existentes System beschreibe, sondern erst durch einen historischen und ontogenetischen Prozess entstehe. Dennoch ist der inter-aktionistische Ansatz insofern mit einer nativistischen Position vereinbar, da er zumindest die kognitive Disposition zum Spracherwerb als angeboren annimmt (vgl.

Schätz 2017: 47), welches sich jedoch erst durch ein Interagieren mit der Umwelt entfalten könne. In diesem Zusammenhang beschreibt Bruner (1983) den Spracherwerb als ein bidirektionales System. Hierbei werde die Language Acquisition Device (LAD)9, ein angeborenes Sprachmodul im Gehirn des Menschen, von außen durch das Language Acquisition Support System (LASS) aktiviert. Das Kind werde in eine bereits kulturelle und linguistisch strukturierte Welt geboren, in der die Eltern es als Wegbereiter (LASS) kognitiv stimulieren, sodass das Kind wiederum mit seiner Umwelt interagieren könne.

Es muss an dieser Stelle aber auch festgehalten werden, dass die Existenz einer angeborenen UG nicht verifiziert werden kann. Wie einleitend bereits erwähnt, hat die moderne Neurowissenschaft in den letzten Jahrzehnten erstaunliche Einblicke in die Sprachverarbeitungsprozesse des menschlichen Gehirns ermöglicht, doch ist sie nach wie vor nicht in der Lage, Sprachentwicklung und -verarbeitung des Menschen genauestens darzulegen. Es verbleiben sowohl die Position der Generativisten als auch die der kognitiv-funktionalen Linguisten in der Spracherwerbstheorie weiterhin stark verankert, die Existenz einer UG jedoch mehr eine Frage des ‚Glaubens‘ als des ,Wissens‘.

All diese Theorien haben demnach ihren Standpunkt zum Erstsprachenerwerb. Diese Vorstellungen bilden aber auch die Grundlage für ein Verständnis des

Fremdsprachen-9 Die Grundidee der LAD geht auf Chomsky (1965) zurück und wurde später zu einer größeren Theorie (UG) ausgearbeitet (vgl. Chomsky 1981). Wesentlich ist an dieser Stelle, dass auch die Annahme einer LAD auf einer nativistischen Annäherung an den Spracherwerb basiert.

erwerbs. Im Folgenden werden einige der bekanntesten Hypothesen vorgestellt, die in ihren Grundzügen wiederum den verschiedenen Theorien zugeordnet werden können.

2.3 Die Muttersprache im Lichte ausgewählter Fremdsprachenerwerbs-hypothesen und ihre didaktischen Konsequenzen

Sobald eine weitere Sprache in das Repertoire des Lerners aufgenommen wird, wird folglich auch ein möglicher Einfluss der L1 zu einem zentralen Thema im Erwerbs-prozess.10 Die unter 2.2 vorgestellten Annahmen beschreiben zwar den Erst-spracherwerb, doch hatten sie in ihren Grundgedanken ebenfalls großen Einfluss auf die Hypothesen der Fremdsprachenerwerbsforschung. Von einer Fülle an Hypothesen sollen hier nur einige grundlegend verschiedene vorgestellt werden und es wird sich zeigen, dass die zuvor als relativ leicht voneinander abzugrenzen erscheinenden Standpunkte in diesem Bereich in einer Vielzahl unterschiedlicher Auffassungen münden. Da es hier nicht das Ziel sein kann, alle existierenden Fremdsprachen-erwerbshypothesen zu durchleuchten, fiel die Auswahl auf die ‚drei großen‘ (vgl.

Bausch & Kasper 1979), die an dieser Stelle vor allem auch wegen ihrer Überlegungen zum Verhältnis von L1 und L2 relevant sind. Ergänzend wird das Verständnis konstruktivistischer Ansätze betrachtet.

Die im Folgenden vorgestellten Hypothesen sollen vor allem zwei zur Diskussion stehende Fragen beantworten: Welche Rolle nimmt die L1 beim L2-Erwerb ein und welche didaktischen Konsequenzen können bzw. sollen daraus gezogen werden? Diese Diskussion soll letztendlich zeigen, dass die Kontrastivhypothese zwar zu Recht stark kritisiert wurde, Kontraste zwischen der L1 und L2 im Fremdsprachenunterricht dennoch positiv genutzt werden können. Unter 2.4 wird diese Diskussion dann erneut aufgenommen und für eine sprachenvergleichende Lehrmethode unter Einbezug einer Visualisierung als Bewusstmachung syntaktischer Strukturen für den Zweitsprachen-erwerb argumentiert.

10 Wie bereits unter 1.5 erläutert, wird sich in dieser Arbeit nicht auf den Einfluss verschiedener Fremdsprachen untereinander konzentriert. Alle Teilnehmer der Studie haben Norwegisch (oder wie in einem Fall eine andere skandinavische Sprache) als Muttersprache und das Deutsche als Zielsprache.

Dazwischen liegt für alle Teilnehmer das Englische, jedoch teilweise auch weitere und noch dazu unterschiedliche Fremdsprachen. Der Weg vom Norwegischen zum Deutschen gestaltete sich bei einigen Lernern daher mitunter stark individuell, überlappt jedoch immer beim Sprachenpaar Norwegisch als L1 und Deutsch als L2, sodass an dieser Stelle der Einfluss der L1 als am bedeutsamsten angesehen wird. Das schließt natürlich nicht aus, dass die angestrebte Weiterentwicklung der Sprach-bewusstheit der Teilnehmer (vgl. die Lernziele unter 1.4) die Lerner dazu ermutigen darf, über ihren gesamten Fremdsprachenerwerbskomplex zu reflektieren.

2.3.1 Die Kontrastivhypothese

Innerhalb der Fremdsprachenlehr- und -lernforschung gilt die Kontrastivhypothese, wie sie in ihren Anfangszeiten verstanden wurde und wie sie auch in Bezug auf die Didaktik einen Anklang fand, heute in der Regel als veraltet (vgl. Bausch & Kasper 1979;

Kortmann 1998; Edmondson & House 2006). Der Grundgedanke bestand zunächst darin, dass ein Lerner dort Schwierigkeiten beim L2-Erwerb haben würde, wo die Zielsprache von der Muttersprache abweicht, bzw. vice versa es ihm leichtfallen sollte, Elemente der Zielsprache zu erlernen, bei denen sich die Sprachen ähneln (vgl. Lado 1957: 59). Diese Annahme basierte zum einen auf einem behavioristischen Verständnis des Spracherwerbs und zum anderen auf dem Grundgedanken, dass die L1 die Basis für das Fremdsprachenlernen darstelle.

In einem behavioristischen Verständnis des Spracherwerbs wird der L1-Erwerb als eine Form der Konditionierung des Kindes durch die Eltern verstanden, was wiederum auch auf den Fremdsprachenunterricht übertragen wurde. Zum einem wurde die Kondi-tionierung durch von außen geschaffenen Input vorausgesetzt und zum anderen wurde die L1 als Störfaktor betrachtet, da durch sie für die L2 unpassende ‚Gewohnheiten‘

geschaffen worden waren.

Durch behavioristische Lernprinzipien ist vor allem die audiolinguale Methode beeinflusst worden, nach welcher die ‚Gewohnheiten‘ der L1 ‚überlernt‘ werden sollten. Kennzeichnend ist auch der Ausschluss der L1 im Unterricht und Übungen in Form von sogenannten Pattern Drilles (vgl. Edmondson & House 2006: 116 f.).

Didaktische Konsequenzen waren dann weiter, dass der Lehrer derjenige war, der den Input kontrollierte. Er stand im Zentrum des Unterrichts, um die Lerner anzuleiten und zu korrigieren. Fehler wurden nicht zur Reflexion genutzt, sondern es galt, diese zu beseitigen. Sie sollten durch den kontrastiven Vergleich von Mutter- und Zielsprache (a priori) vorausgesagt bzw. (a posteriori) erklärt werden können (vgl. Gass & Selinker 2008: 97).

Die Kontrastivhypothese hängt aufgrund dieses Bestrebens, Fehler durch Transfer erklären zu können, eng mit der kontrastiven Analyse zusammen. Diese ist aber eine linguistische Methode und keine Lerntheorie, da sie Unterschiede und Gemeinsam-keiten eines bestimmten Sprachenpaares lediglich aufzeigt (vgl. Wode 1988: 116).

„Wie Lerner diese Strukturkonflikte, die sich aus der Konfrontation zwischen den involvierten Sprachen ergeben, spracherwerblich lösen, ist Gegenstand einer Sprachlerntheorie“ (Wode 1988: 116), wobei sich diese laut Wode (ebd.) durchaus ergänzen könnten.

Laut Schätz (2017: 51) dürfte es unumstritten sein, dass Unterschiede und Ähnlichkeiten den Lernprozess beeinflussen können. Fraglich sei jedoch, was dadurch vorhergesehen werden könne. So wurde die Kontrastivhypothese stark kritisiert, wobei im Zentrum der Kritik vor allem folgende Punkte standen: die „ausschließlich linguistische Basis“ (Bausch & Kasper 1979: 3), „ihre Verankerung innerhalb der behavioristischen Spracherwerbstheorie“ (ebd.) und „die herausragende Rolle von grundsprachlichem Transfer/Interferenz im Zweitsprachenerwerbsprozeß“ (ebd.).

Außersprachliche Faktoren wurden völlig außer Acht gelassen und so hielten Bausch und Kasper (1979) bereits in den 70er-Jahren fest, dass die Annahme, strukturelle Unterschiede zwischen L1 und L2 würden zwangsläufig zu Schwierigkeiten beim Fremdsprachenerwerb führen, grundsätzlich falsch sei (vgl. Bausch & Kasper 1979: 6).

Die Tatsache, dass Fehler auch dort auftreten, wo sich L1 und L2 strukturell überschneiden, wird immer wieder als stärkstes Argument gegen die Kontrastiv-hypothese genannt. Eine moderatere Variante (a posteriori) sollte aber zumindest in den Faktorenkomplex der Fehleranalyse einbezogen werden, da der Einfluss der L1 auf den Fremdsprachenerwerb nicht abgestritten werden kann (vgl. Diehl et al. 2000).

2.3.2 Die Identitätshypothese

Deutliche Kritik an der Kontrastivhypothese kam vor allem von generativer Seite und so entstand im Sinne einer nativistischen Position die Identitätshypothese, welche universale Sprachentwicklungsprozesse gleichermaßen für den Erst- sowie den Fremd-sprachenerwerb annimmt. Dabei wurde der Einfluss der L1 zunächst völlig abgestritten und Fehler in der L2 auf den allgemeinen Lernprozess zurückgeführt. Diese klare Gegenposition zur Kontrastivhypothese wurde Ende der 1960er-Jahre von Corder (1967) etabliert und im Laufe der Jahre ebenso heftig kritisiert wie die anfängliche Annahme der Behavioristen.

Diese anfängliche Hypothese der nativistischen Seite wurde durch empirische Studien auf den Prüfstand gestellt und über die Jahre entwickelten sich ebenso unter den Verfechtern einer UG verschiedene Positionen.11 Hierbei ging es folglich nicht um die Existenz universaler Spracherwerbsmechanismen, sondern um die Frage, inwiefern diese auch im Fremdsprachenerwerb involviert sein könnten. Die Fundamental Difference Hypothesis (Bley-Vroman 1990) auf der einen Seite besagt, dass es einen fundamentalen Unterschied zwischen Erst- und Fremdsprachenerwerb gebe, was unter anderem daran liege, dass der erwachsene Lerner keinen oder einen nur eingeschränkten Zugriff auf die UG habe. Dies habe demnach zur Folge, dass ein muttersprachliches Level in der Zielsprache für den erwachsenen Lerner nicht mehr oder zumindest kaum

11 Beispiele für eine Reihe dieser Studien finden sich in Bausch und Kasper (1979).

zu erreichen sei.12 Es gibt aber auf der anderen Seite auch generative Auffassungen, wonach dies durchaus möglich sei. Hierfür argumentiert beispielsweise Flynn (1996), deren Ansatz davon ausgeht, dass die UG ungeachtet des Alters des Lerners immer die Basis für den Fremdsprachenerwerb bilde.

Eine generative Didaktik muss folglich berücksichtigen, ob und wann der Lerner auf die UG und ob und wann er auf seine L1 zurückgreift. Ein kontrastiver Unterricht würde der Full Transfer/Full Access Hypothesis13 zufolge beispielsweise einen Sinn ergeben, da hier davon ausgegangen wird, dass der Lerner den L2-Erwerbsprozess auf der Basis seiner L1 beginne, wonach dies eine moderate Auffassung der Identitätshypothese darstellt. Ausgehend von der Full Access/No Transfer Hypothesis wäre dies hingegen nicht sinnvoll, da hier die Annahme besteht, der Lerner erwerbe eine L2 auf demselben Wege wie seine L1 und somit auf Basis der UG, ohne dass sich diese beiden Prozesse

Eine generative Didaktik muss folglich berücksichtigen, ob und wann der Lerner auf die UG und ob und wann er auf seine L1 zurückgreift. Ein kontrastiver Unterricht würde der Full Transfer/Full Access Hypothesis13 zufolge beispielsweise einen Sinn ergeben, da hier davon ausgegangen wird, dass der Lerner den L2-Erwerbsprozess auf der Basis seiner L1 beginne, wonach dies eine moderate Auffassung der Identitätshypothese darstellt. Ausgehend von der Full Access/No Transfer Hypothesis wäre dies hingegen nicht sinnvoll, da hier die Annahme besteht, der Lerner erwerbe eine L2 auf demselben Wege wie seine L1 und somit auf Basis der UG, ohne dass sich diese beiden Prozesse